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Wissenschaft: die Problematik des einseitigen Wissens, Menschen, die nicht wissen, daß es ein höchstes Ziel im Leben gibt, halten alles andere als das höchste Ziel für wertvoll. So irren sie wie Blinde umher, die von anderen Blinden geführt werden, und verstricken sich immer mehr ins Netz der Ziellosigkeit."- Srimad-Bhägavatam 7.5.31
Das Konzept von Veda („Wissen; Offenbarung") ist dem modernen Weltbild fremd. Das 20.Jahrhundert wird in die Geschichte eingehen als das Jahrhundert der Wissenschaft und desFortschritts. Die Wissenschaft entscheidet heutzutage, was als „Wissen" und „Wahrheit" gilt,und der Fortschritt liefert den Beweis: Was die Wissenschaft sagt, stimmt, denn sie ist objektivnachprüfbar und ermöglicht konkrete Erfindungen und Verbesserungen, eben Fortschritt.Vom Mittelalter bis zur Aufklärung und zur industriellen Revolution sind über ein Jahrtausendvergangen, über dreißig Generationen; doch nun konnten die letzten drei Generationeninnerhalb eines einzigen Jahrhunderts die Früchte dieser langen Entwicklung in atemberaubender Geschwindigkeit reifen sehen. Heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, ist esjedoch ein offenes Geheimnis: Die Früchte hielten nicht, was die Gärtner versprachen.Es fand ein Fortschritt statt, aber: Fortschritt wohin? In welche Richtung? Mit welchem Ziel?Nach anfänglicher Zuversicht, ja Euphorie über die Zukunft der Menschheit angesichts des gefeierten Fortschritts bricht heute eine Phase der Ernüchterung an. Aufgrund von Einsichtoder aufgerüttelt durch die Zeichen der Zeit, werden sich die Menschen in den neunzigerJahren immer mehr der Mängel dieses blinden Fortschritts bewusst, ja es werden sogar sorgenvolle Stimmen hörbar, die bereits unheilvolle Konsequenzen voraussehen.Der Fortschritt wurde durch die Wissenschaft ermöglicht. Die Wissenschaft will die Wahrheiterforschen - die Wahrheit über die Natur, die Naturgesetze und das Leben -, und durch den Fortschritt soll der Nutzen der Wissenschaft praktisch demonstriert werden. Die entscheidende Frage lautet hier jedoch: Was versteht man unter „Nutzen", „Wissen" und„Wahrheit"? Diese Ziele - Nutzen, Wissen, Wahrheit - sind nicht klar definiert und deshalb wissen Wissenschaft und Fortschritt nicht, was sie eigentlich anstreben. Wenn zuerst noch erforschtwerden muß, was Wahrheit und, davon abhängig, wahres Wissen überhaupt ist, dann bedeutetdies, daß gegenwärtig noch Unklarheit oder sogar Unwahrheit herrscht. Und welche Hoffnung besteht, auf dieser Grundlage eine nicht bekannte Wahrheit zufinden?
Oder geht es den Menschen, die Wissenschaft und Fortschritt betreiben, etwa gar nicht um solch hochgestochene, unprofitable Ziele wie Wissen und Wahrheit? Wenn wir den Universitäten und Wirtschaftsimperien, den Förderern von Fortschrittund Wissenschaft, genauer auf die Finger schauen, drängt sich tatsächlich der Verdacht auf, daß heute viel kurzfristigere und kurzsichtigere Ziele Prioritätbekommen haben. Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche kurzfristige Erfolge gemeldet und dabei die langfristigen Probleme aufgeschoben. Doch „die Zukunft hat schon begonnen".
Heute konfrontiert uns das ehemals Langfristige bereits alskurzfristige Bedrohung:
Umweltzerstörung, Kriege, Kriminalität, Zentralkontrolle, Naturkatastrophen, neue Krankheiten usw. Diese Probleme, die die positiven Aspekte des Fortschritts empfindlich überschatten,können nicht pauschal der Wissenschaft angelastet werden; aber sie sindalarmierende Indizien dafür, daß im modernen Weltbild etwas nicht stimmt - unddieses wurde von der Wissenschaft entscheidend mitgeprägt.Es geht hier nicht um eine Aburteilung der Wissenschaft, sondern um eine Kritik desvon ihr abhängigen Weltbildes; denn es ist dieses ziellose, kurzsichtige Weltbild,das verursacht, daß auch die nützlichen und neutralen Errungenschaften desFortschritts eine schädliche bis verheerende Wirkung zeitigen, eben weil sie von Menschen mit dieser falschen Weltsicht missbraucht werden. Was zerstört, kannnicht richtig sein, nicht einmal natürlich, denn in der Natur ist jede Zerstörungimmer auch Übergang zu einer neuen Harmonie, was man von der modernenZerstörung nicht behaupten kann. Es lässt sich also nicht bestreiten, daß einweniger einseitiges Weltbild auch die Unschuld von Wissenschaft und Fortschritt inFrage stellen wird - denn so unschuldig sind sie nicht.Wissenschaft und Fortschritt sind die Götter des 20. Jahrhunderts, die von denMenschen und Nationen kritiklos verehrt werden. Unzählige Menschenopfer werdenihnen dargebracht (auf den Straßen, in den Fabriken, im Militäreinsatz, sogar bei Sport und Unterhaltung), weil alle überzeugt sind, daß dieser Kult sich lohnt. Früherdiente man Gott, und heute dient man dem Fortschritt.
Was dem Fortschritt dient ,kann mit Staatsgewalt erzwungen werden. Gesetze, Politik und Schulsystem werdendem Fortschritt angepasst - doch fragt sich jemals jemand, wohin dieser Fortschrittführen soll? Ohne Ziel hat man keine Richtung, und ohne Richtung ist jeder Schritt,auch „Fortschritt", ungewiss.Die Götter namens Wissenschaft, Forschung und Fortschritt versprechen dieErkenntnis von Wissen und Wahrheit. Doch mit welchen Mitteln bemühen sich derenPriester um diese Ziele? Damit ihre Götter eine unangefochtene Weltherrschaft genießen können, haben sie, die heimlichen Priester, den Glauben eingeführt, daß Realität - die „Wahrheit" - das sei, was man sehen, messen und analysieren könne. Dementsprechend wurden die Werkzeuge und Arbeitsmethoden gewählt. Übersehen wurde hierbei, daß diese Wahl von vornherein ausschließlich das Sichtbare, Messbare und Analysierbare, nur das Materielle, berücksichtigt. Das wurde jedoch nicht als Problem angesehen. Was gibt es denn schon jenseits des Materiellen? Wissenschaftsgläubige glauben deshalb, die Realität beschränke sich auf dasMaterielle. Und selbst wenn es etwas jenseits der Materie gäbe, dann sei dieses „Etwas" vernachlässigbar, und man könne Wissenschaft, Forschung und Fortschrittgetrost ohne Berücksichtigung dieses „Etwas" vorantreiben. Diese Weltsicht nenntsich selbst „Materialismus" oder, diplomatischer formuliert, „Realismus": Man glaubt,die Realität sei materiell. Man glaubt nur, was man wissenschaftlich erfassen kann;und was „wissenschaftlich" ist, hat man bereits anhand des Materialismus definiert. Diese Ansicht, daß nur das Materielle real sei, wurde von vornherein, a priori, zurWahrheit erklärt, auf deren Grundlage man nach Wahrheit streben wollte - mittelsWissenschaft, Forschung und Fortschritt. Auf diese Weise drehen sich die Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigen im Kreis und sind nicht in der Lage, das Schleudern der einseitigen Zivilisation zu bremsen - obwohl ihnen alle modernen Errungenschaften zur Verfügung stehen. „Wissenschaft" und „Fortschritt" sind heute magische Worte, die praktisch alles erlauben. Denn ihre Erkenntnisse, so heißt es, nützen allen. Doch diese Erkenntnisse können nie eine vollständige Wahrheit vermitteln, da sie nur auf einenschmalen Realitätsausschnitt beschränkt sind, auf das Materielle, Messbare, dieser Waffen auch eine Gegenwaffe gab, um deren Wirkung zuneutralisieren. Wieder andere Waffen konnten auf einzelne Ziele gerichtetwerden, ohne daß die Umgebung in Mitleidenschaft gezogen wurde, oderwaren in der Lage, ihre Ziele selbständig zu suchen (mittels Klang oder Temperatur, oder durch Gedanken gelenkt).*•Auch diese Waffen zeugen von der Höhe der vedischen Kultur, denn siegelangten nur in Notfällen zum Einsatz, nämlich bei der Verteidigung desFriedens und im Kampf gegen dunkle Mächte, die dieses Wissen für eigeneMachtansprüche mißbrauchten und technologische Kriege anzettelten (vorJahrtausenden!).•1 Sähkhya: „Analyse"; Struktur der Materie und der atomaren Aggregatzustände; Erklärung, daß die Materie eine Form von Energie ist,aber keine unabhängige Energie; die materiellen Formen gehen aushöherdimensionalen Feldern und letztlich aus Bewußtseinsstrukturen hervor.•Silpa-sästra: „Buch der vielfältigen Umformung"; Geometrie, Mathematik, dieKunst des Computer-schnellen Kopfrechnens, das Umsetzen von Sanskrit-Mantras in wissenschaftliche Formeln.•Natyä-Sästra: „Buch des körperlichen Ausdrucks"; Regeln für das Schreibenvon Theaterstücken, für Dramaturgie,Tanzkunst und Tempeltanz. JedeMimik, jede Geste und Fußbewegung hat bei gewissen Tanzformen einebesondere Bedeutung oder stellt ein-•Gandharva-vidyä: „Musik",wörtlich: „das von den Gandharvas*überbrachte Wissen"; Gesang, Beherrschung von Instrumenten,Raga-Tonkunst mit Stimme oder Instrumenten, Komposition, Improvisation und systematische Variation von Grundmelodien.•Samskrti: „die (nach kosmischen Mustern) geordnete Sprache"(Sanskrit); Sprachkunst, Grammatik, Metrik, Prosodie, Poetik.•Die letzte Kategorie zeigt, daß nicht nur der Inhalt der vedischen Schriften aufeine materiell und spirituell fortgeschrittene Kultur hinweist, sondern auch derenSprache. Sanskrit ist nicht einfach eine „Bronzezeit-Sprache", und sie klingtauch nicht wie die Sprache von Höhlenbewohnern. Ist es nicht verwunderlich,daß die älteste Schriftsprache der Welt zugleich auch die hochstehendsteSprache ist? (Zwölf Jahre sind nötig nur für das seriöse Grundstudium.)
Das Sanskrit bezeichnet sich selbst als devanagari, was wörtlich bedeutet:„die Sprache, die in den Städten (nagarf) der Götter (deva) gesprochen wird".Der unerschöpfliche Wortschatz des Sanskrit, seine Grammatik, Syntax undMetrik, die phonetischen Gesetzmäßigkeiten und vielschichtigenWortbedeutungen - diese Faktoren weisen allesamt auf das hohe Niveau dervedischen Kultur hin. Heute kann man sich kaum vorstellen,, daß das Sanskritmit seiner Komplexität damals eine gesprochene Sprache war.•Die oben skizzierten Wissensgebiete entsprechen in vielen Fällen nichteinzelnen Büchern, sondern werden in Form verschiedenster Textstellen querdurch die einzelnen Schriften hindurch erwähnt. Diese Textstellen machenjedoch nur einen kleinen Teil der Gesamtheit der vedischen Schriften aus. Alsviel wichtiger galt der vedischen Kultur die geistige Entwicklung des Menschen(angefangen bei magischen Ritualen über Halbgötterverehrung bis hin zurhöchsten, persönlichen Gotteserkenntnis.) Deshalb sind diese Teile dervedischen Schriften viel umfangreicher.•Höchstes spirituelles Wissen vermitteln die Upanisaden, das Vedänta-sütra,die Puränas, das Rämäyana, das Mahäbhärata, die Bhagavad-gltä und dasSrimad-Bhägavatam. Diese heiligen Schriften enthalten detaillierteOffenbarungen der direkten Worte Gottes* Gandharvas: Höherdimensionale Wesen, deren Aussehen an die biblischen Beschreibungen der Engel erinnert.•und auch die Worte vieler großer Gottgesandter. Sie beschreiben GottesInkarnationen und auch Gottes persönliches Erscheinen, wie z.B. dasErscheinen Krsnas vor fünftausend Jahren, das einen letzten Höhepunkt dervedischen Kultur darstellte und in der Offenbarung der Bhagavad-gitä („DerGesang Gottes") gipfelte. Seit jener Zeit wurde dieses spirituelle Wissen,ausgehend von Krsna, in einer Lehrer-Schüler-Nachfolge (Paramparä) bis indie heutige Zeit herabgereicht. Paramparä und schriftliche Überlieferungverliefen parallel, das heißt, sie beschützten und kontrollierten sichgegenseitig. Dank dieses doppelten Rückhaltes blieb der Kern des Veda inIndien auch neben einer wachsenden Zahl von neuen Religionen undPhilosophien immer in seiner Ursprünglichkeit erhalten und kann von denechten Paramparä-Vertretern auch heute noch interessierten Schülernvermittelt werden. (Auch der Autor ist Schüler einer solchen Paramparä.)
Der Mensch im Westen mag sich fragen, warum Gott gerade in Indien erschien undnicht im Abendland. Dieser Einwand entspringt offensichtlich einer begrenztenWeltsicht, denn der Veda ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden underscheint nicht nur in Indien. Oder ist die Sonne, nur weil sie für unsere Augen imOsten aufgeht, auf den Osten beschränkt?Nicht alles, was aus Indien kommt, ist „vedisch". Veda hat nichts mit der indischenNation zu tun, obwohl der Veda - in seiner Form als konkrete, ursprünglicheOffenbarung - im geographischen Bereich des indischen Subkontinentesniedergeschrieben wurde.Zusammenfassend ergeben sich folgende Definitionen:Veda: „Wissen, Offenbarung"; göttliches Wissen, das allein durch eigene Bemühung(wie durch Forschung, Spekulation oder Meditation) nicht erlangt werden kann. Veda istnicht auf Schriften beschränkt, sondern kann noch auf viele andere Arten vermitteltbzw. erkannt oder erahnt werden.Vedische Schriften: Sammelbegriff für jene Weisheitsbücher Indiens, die den Vedaumfassend beschreiben, von allen Teilaspekten bis hin zur höchsten OffenbarungGottes.Veden: Die „vier Vedas" namens Yajur Veda, Rg Veda, Säma Veda und Atharva Veda.(Manchmal wird der Begriff „Veden" ebenfalls als Sammelbegriff verwendet und bedeutetdann dasselbe wie „vedische Schriften".)
Vedische Wissenschaft
Prahläda Mahäräja sprach: „Ich habe dieses Wissen von dem großen Weisen Närada erhalten, dereine vollkommene göttliche Sicht hat (näradad deva-darsanat). Dieses Wissen ist in jeder Hinsichtii'issenschaftlich (jnänarh vijnäna-samyutam). Es ist auf Logik und Philosophie gegründet, und es istfrei von aller materiellen Verunreinigung. " - Srimad-Bhägavatam 7.6.28
Die moderne Wissenschaft wehrt sich gegen die Verbindung von Begriffen wie„Wissenschaft" und „Offenbarung", weil ihr der Glaube, daß es göttliche Quellen undOffenbarungen gibt, höchst dubios erscheint. Wissenschaft ist ein „geordnetes,folgerichtig aufgebautes, zusammenhängendes Gebiet von Erkenntnissen"7, und siezeichnet sich dadurch aus, daß jede ihrer Erkenntnisse beweisbar, da nachprüfbarist. Weil die Existenz Gottes und der Götter sowie göttliche Offenbarungen nichtnachprüfbar sind, werden sie von der Wissenschaft nicht als wissenschaftlicheFaktoren berücksichtigt. Andererseits darf auch nicht verschwiegen werden, daßviele Religionen die Erkenntnisse der Wissenschaft ablehnen und bekämpfen oderdies zumindest für eine lange Zeit getan haben. Viele Formen des religiösen(Aber)Glaubens haben sich im Lauf der Zeit als falsch, unheilvoll und dogmatischerwiesen, weshalb es im Westen zu einer Trennung von Religion und Wissenschaftgekommen ist. Unter dem Einfluss gewisser historischer Epochen und ideologischerStrömungen kam es sogar zu einer offenen Gegnerschaft.Wenn Religion und Wissenschaft sich entfremden, bedeutet dies, daß bei beidenetwas nicht stimmt. „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohneWissenschaft ist blind." So lautete Albert Einsteins treffende Diagnose.8Wissenschaft und Religion werden heute weitgehend als Gegensätze aufgefasst,weil sich Wissenschaft mit dem sichtbaren Diesseits und Religion mit demunsichtbaren Jenseits befasst. Ein unvoreingenommener Mensch wird jedocherkennen, daß sich beide Bereiche in der Mitte treffen und vieles gemein haben:Wissenschaft und Religion streben beide nach Erkenntnis der Wahrheit, und derKern dieser Wahrheit ist das Leben an sich, denn ohne Leben gäbe es wederBewusstsein noch Erkenntnis. Und zum Leben gehört das Sterben. Die zentralenFragen, bei denen sich die wissenschaftlichen ist Sterben? Was ist Leben? Was istMaterie? Was ist der Ursprung der Materie? Was ist der Ursprung des Bewusstseins?
Dies sind die wichtigsten Fragen überhaupt, doch gerade diese Fragen werden vonder Wissenschaft an die Philosophie und Theologie delegiert, mit der Begründung, eshandle sich hier um •wissenschaftlich nicht relevante Fragestellungen, weil man sie nur mit subjektiven Meinungen beantworten könne. Es zeigt sich aber schnell, daßbei diesen entscheidenden Fragen auch die Philosophen und Theologenhoffnungslos überfordert sind. Sie antworten entweder mit nichtssagenden Floskeln, unschlüssigen Spekulationen oder mit unsinnigen Dogmen, die sowohl mit echter Wissenschaft als auch mit echter Religion nur sehr wenig zu tun haben. Nötig wäreeine wissenschaftliche Religion oder eine religiöse Wissenschaft, wobei an diesem Punkt Wissenschaft und Religion nicht mehr verschieden wären, denn beiden gingees um eine nachprüfbare, folgerichtige Beantwortung der wichtigsten Fragen des Menschseins.Genau diese Ansprüche erfüllt die vedische Wissenschaft schon seit Menschen- undGöttergedenken, denn sie analysiert gleichzeitig die Vielfalt der Wege und die Einheit des Zieles. Die Diskussion der vedischen Wissenschaft führt zu einem neuen Wissenschaftsbegriff. In der gängigen Wissenschaft hat es sich eingebürgert, daß man von direkter Beobachtung und Hypothese ausgeht, dann mit Experiment undForschung eine Regelmäßigkeit entdeckt, was im Idealfall zur Formulierung eines Gesetzes führt. So wird eine Hypothese zu einer „bewiesenen Erkenntnis". Wiebereits erwähnt, weist diese wissenschaftliche Vorgehensweise einen großenMangel auf: Sie geht nur vom Beobachtbaren aus und gilt deshalb nur für das Beobachtbare. Die Wissenschaft ist also nicht falsch oder schlecht, sondern beschränkt. Das Problem beginnt, wenn die beschränkten Erkenntnisse derWissenschaft zur allein gültigen Wahrheit erhoben werden, was zu einemmaterialistischen Weltbild führt. Die vedische Kritik richtet sich nicht gegen dieErkenntnisse der Wissenschaft, sondern gegen die einseitig materialistischeInterpretation dieser Erkenntnisse und die Ausschließung aller anderen Erkenntnisse, die nicht in dieses Weltbild passen.Eine Erkenntnis wird heute nur dann wissenschaftlich anerkannt,wenn sie durchwiederholbare Manipulation der Materie gemäß einem formulierten Gesetz„bewiesen" werden kann. Aufgrund dieser Beschränkung auf die Materie ist dieWissenschaft in den letzten drei Jahrhunderten zur Technologie geschrumpft.
(Wissenschaft = Manipulation der Materie = Technologie). Auf einmal galt die Manipulationder Materie, d.h. der messbare Nutzen (= Profit!), als wichtigstes Kriterium fürWissenschaftlichkeit. Daß in dieser materialistisch definierten Wissenschaft die„unwissenschaftlichen" Fragen nach Bewusstsein, Leben und Ursprung keinen Platz haben, ergibt sich nur schon aus professioneller Konsequenz. Denn jederWissenschaftler ist gezwungen, sein Wissen in Geld umzumünzen; und dieseForderung programmiert gänzlich die Zielsetzung und damit auch die Schulung und Forschung. Die vedische Wissenschaft kennt andere Ziele und deshalb auch andere Methoden.Sie baut auf der Grunderkenntnis auf, daß die Wahrnehmung des Menschen unddie durch sie erlangte „Wahrheit" immer unvollständig sind; deshalb unterliegt derMensch Illusionen, Unvollkommenheiten, Täuschungen und (Selbst-)Betrug undkann letztlich immer nur glauben. Dies gilt ohne Einschränkung auch für diegegenwärtige Wissenschaft. Aufgrund von Beobachtung und Forschung gelangt sie zugewissen Erkenntnissen; aber diese Erkenntnisse sind nie universal gültig, denn siewurden in einem beschränkten dreidimensionalen Bereich gewonnen und geltendeshalb nur in diesem kleinen Ausschnitt der beobachtbaren Materie. Dazu sind sieabhängig von unbewiesenen Grundannahmen (Axiomen), wie zum Beispiel, ...... daß die Materie die einzige Realität ist,... daß überall im Universum nur die auf der Erde bekanntenphysikalischen Naturgesetze gelten, ... daß die Sinneswahrnehmung des Menschen die gesamte Realität erfasst (und nicht etwa das Wichtigste übersieht). Das Weltbild der materialistischen Wissenschaft steht und fällt mit dem Glauben,daß es nichts gibt, was nicht empirisch erfassbar ist. Denn gäbe es etwas, das einenEinfluss auf uns ausübt, ohne daß wir es wahrnehmen, dann wäre die gesamte experimentelle Forschung nur beschränkt gültig, weil immer mit unberechenbarenFaktoren gerechnet werden müsste. Die vorrangigsten Faktoren dieser Art sindnatürlich Gott und die Götter, weshalb die moderne Wissenschaft vomunbewiesenen Glauben ausgeht, daß Gott und die Götter nicht existieren oderzumindest keinen Einfluss auf die beobachtbare Materie haben.Die materialistische Wissenschaft, die sich einer nachprüfbaren Objektivitätbrüstet, baut in Wirklichkeit also auf einem blinden Glauben auf. Jeder Menschmuss glauben. Die entscheidende Frage lautet nur: Wem glaube ich? Meiner
Sinneswahrnehmung? Meiner Weltsicht? Der Weltsicht anderer Menschen? Auchder vermeintlich objektive Mensch kommt nicht um das Glauben herum.Die vedische Wissenschaft integriert diese Tatsache von allem Anfang an und ziehtdaraus einen wichtigen logischen Schluss: Wissenschaft bedeutet „Finden von wahrem Wissen" = Finden von Wahrheit, denn alles andere als Wahrheit istUnwahrheit (falsches Wissen). Falsches Wissen ist unvollkommen, denn nur wahresWissen ist vollkommen. Und weil der Mensch immer unvollkommen ist, kann er nurdann wahres Wissen erlangen, wenn er eine vollkommene Wissensquelle findet. Der Mensch selbst kann nie diese vollkommene Wissensquelle sein. Nur einvollkommenes Wesen
(= Gott) kann eine vollkommene Wissensquelle sein. Das bedeutet für uns unvollkommene Menschen: Entweder ist es möglich, Wissen von Gott zu bekommen, oder unser Wissen bleibt gezwungenermaßen immerunvollständig (unvollkommen). Aus diesem Grund hat sich die moderne Wissenschaftdarauf beschränkt, Technologie zu sein und sich mit der Manipulation dererfassbaren Materie zufriedenzugeben. Und die Menschheit wird geschult, sichebenfalls damit zufriedenzugeben, trotz des hohen Preises ... Nur schon die Tatsache, daß der Mensch den unaufhaltbaren Drang verspürt, zuforschen und die Gesetze der Natur zu entdecken, und auch tatsächlich einigedieser Gesetze entdeckt, beweist, daß es in der Materie höhere Gesetze gibt, dieauf eine höchste Ordnung hinweisen. Vollkommenes Wissen über diese höchsteOrdnung erhalten wir entweder von der vollkommenen Quelle (von Gott und denGottgesandten) oder dann nirgendwo, was bedeuten würde, daß wir nie wirklichesWissen über die höchste Ordnung (Kosmos) haben könnten.So lautet die vedische Logik. Wenn der forschende Mensch nicht aus einer göttlichenQuelle Wissen bekommt, verliert er sich in einer endlosen Forschung, denn selbstwenn er einmal ein Prinzip der Wahrheit streift, erkennt er es nicht und spekulierteinfach weiter, ziellos, endlos, sinnlos.Deshalb fordert die vedische Wissenschaft den Menschen mit einem klardefinierten Ziel heraus: vedais ca sarvair aham eva ved-yah. So definiert Krsna inder Bhagavad-gltä (15.15) das Ziel des Veda. „In jeder Form von Veda bin Ich(.aham) das Ziel der Erkenntnis (vedyaK)." Der Bogen von dem einen Veda-Wort(vedais...) zum Milderen (... vedyaK) weist auf eine doppelte Bedeutung hin. Die erste,wörtliche Bedeutung lautet: „Das Ziel aller vedischen Schriften ist es, Mich zuerkennen." Und die zweite - weil das zweite Veda-Wort (.vedyaK) „erkennen"Seite - 18bedeutet: „Das Ziel aller Erkenntnis ist es, Mich zu erkennen." Mit anderen Worten,das Ziel von allem Streben nach wahrem Wissen (= Wissenschaft) ist Gott, dievollkommene Wahrheit (im Vers: a-ha-m, das Alpha-und-Omega, der Ursprung vonallem, in dem alles ruht). Oder noch prägnanter formuliert: Nur jenes Wissen, das Gottzum Ziel hat, ist Wissenschaft. Die vedische Wissenschaft geht von der Erkenntnis aus, daß Gott existiert und sichdeshalb offenbaren kann. Es bleibt natürlich die Frage, was man unter „Gott"versteht. Hier an dieser Stelle geht es jedoch nur um das Prinzip: daß Gott, wenn Erexistiert, sich auch offenbaren kann. Die vedischen Schriften bieten die einzigartigeMöglichkeit, eine Wissenschaft kennenzulernen, die gleichzeitig die Existenz Gottesund die beobachtbaren Fakten berücksichtigt. Die vedische Wissenschaft ist nicht ziellos, weil das Ziel bekannt ist; es wird offenbart,ebenso wie der Weg, der zu diesem Ziel führt, und zwar mit allen Zwischenstufen, sodaß jeder Mensch die Möglichkeit hat, dieses Ziel zu erkennen und zu erreichen.Wahre Wissenschaft ist schlüssig, einleuchtend und in ihren Hauptaussageneinfach zu verstehen. Die komplizierten Formeln, die man braucht, um eine Erkenntnis materiell nutzbar zu machen, fehlen auch in der vedischen Wissenschaftnicht, aber ihnen kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. (Sie sind inWortformeln als Nebenbedeutung gewisser Sanskritverse verschlüsselt.) Bei der vedischen Wissenschaft handelt es sich also nicht um einen blinden Glauben oder um eine elitäre Universitätslehre, sondern um ein universales, klares und systematisches Wissen, das jeder Mensch, der will, erkennen, verstehen und inseinem eigenen Leben praktisch anwenden kann. Die Intelligenz wird hierbei alsgottgegebenes Instrument eingesetzt, um das offenbarte vedische Wissen zuprüfen und nachzuvollziehen. Dies ist der eigentliche, richtige Gebrauch derIntelligenz. Alles andere ist ein Missbrauch der Intelligenz. „Intelligenz wird von Gottgegeben, als Mittel, um zu Gott zu gelangen".
Was ist Veda? Der unvollkommene Mensch darf nur dann erwarten, echtes Wissen (Veda) zu finden,wenn er es von einer vollkommenen Quelle bekommt. Die vedischen Schriftenbezeichnen sich selbst als solche Quelle, aber sie fordern keinen kritiklosenGlauben, sondern - im Gegenteil - fordern den Menschen heraus, mit seinerIntelligenz das vedische Wissen zu studieren und dadurch den göttlichen UrsprungSeite - 19dieser Offenbarung zu erkennen. Im Veda sind Wissenschaft und Religion nichtgetrennt, sondern auf einer höchsten Stufe vereint. Jeder Mensch kann dieseBehauptung wissenschaftlich nachprüfen. Wie? Indem er selbst diese Stufe erreicht. Wie in jedem wissenschaftlichen Experiment muss der forschende Mensch auch im vedischen Experiment alle Details beachten und alle Vorschriften erfüllen. Leiderwaren bisher im Westen nur wenige Menschen bereit, das vedische Experimentrichtig auszuführen, weshalb nur wenige fähig waren, die wahre Bedeutung dervedischen Schriften zu erkennen.Um das vedische Wissen richtig verstehen zu können, muss man erkannt haben,daß man selbst - als lebendes, bewusstes Wesen kein Produkt von Materie ist.Sonst sieht man sich selbst und deshalb auch die Welt und den Kosmos nur alsmaterielles Gebilde und übersieht das Wichtigste. Man hält den Schatten für Realität. „Der materielle Körper ist vergänglich. Doch das Leben [die Seele] ist unvergänglich,unmessbar und ewig." (Bhagavad-gltä 2.18) Erst in diesem Licht ist es überhaupt möglich zu verstehen, wovon die vedischen Schriften sprechen und worauf sie abzielen: Selbsterkenntnis und damit verbunden Gotteserkenntnis, d.h. die Erkenntnis der eigenen Identität und des eigenen Ursprungs. Wer dieses Ziel ins Auge fasst und verinnerlicht, entwickelt Loslösungvon der Materie (wissend, daß Materie nicht unsere wahre Identität darstellt), und dieseLoslösung wiederum ist das Kriterium für wahres Wissen: „Diejenigen, die diesen Pfad beschreiten, sind entschlossen in ihrem Vorhaben, und ihr Ziel ist eins. Die Intelligenz der Unentschlossenen jedoch ist viel verzweigt....
Im Geist derer, die zu sehr an Sinnesgenuß und materiellem Reichtum haften und das Ziel des Lebens nicht sehen, kommt es nie zu diesemfesten Entschluss ..." (Bhagavad-gltä 2.41,44a) Wer zu diesem Schritt nicht bereit ist, sollte zumindest bereit sein, von denjenigen zulernen, die diesen Schritt bereits getan haben. Als Autor des vorliegende Buches möchte ich mit Nachdruck betonen, daß ich nicht den Anspruch erhebe, zu denen zugehören, die diesen Schritt bereits mit aller Konsequenz getan haben. Aber ich habemich bemüht, bei echten Veda-Lehrern und -Lehrerinnen, die diesen konsequenten Fort-Schritt verkörpern, aufrichtig zu lernen, und nur dank ihrer Ermutigung habe iches gewagt, das Werk Der multidimensionale Kosmos zu verfassen.
Durch dieses Werk sollen nun auch all jene einen Zugang zum vedischen Wissen bekommen, dienicht die Zeit und nicht die Gelegenheit hatten, sich eingehend mit den Originalschriften zu befassen.Denn die Kernaussagen und die für die heutigen Menschen relevanten Aussagenlassen sich durchaus zu schlüssigen Erkenntnissen zusammenfassen. Diese umfassen sowohl Wissenschaft und Esoterik als auch Theologie. Diese Erkenntnisbereiche, die heute vielerorts völlig getrennt behandelt werden, meistenssogar als sich ausschließend, können in ihrer Essenz aber nicht wirklich getrenntwerden. Um diese Bereiche des ganzheitlichen (holistischen) Erkennens zuerschließen, ist eine multidimensionale Weltsicht erforderlich, denn die Welt - darinsind sich alle Mysterienschulen und Einweihungstraditionen einig - ist multidimensional. Der Veda in seiner gesamten Systematik von den ersten bis zu den höchsten Stufenwar bis vor kurzem nur noch in kleinen Kreisen von Eingeweihten bekannt gewesen,auch in Indien. „Veda", die nur durch höhere Offenbarung zu erlangende Erkenntnisund Weisheit, ist also kein Privileg Indiens. Auch in diesem heiligen Land setzte imLauf der Jahrhunderte und Jahrtausende eine Dekadenz und Infiltrierung ein. Die Zahl derer, die die alte Sanskritsprache der vedischen Schriften verstand, wurde immer geringer, und diese wenigen waren größtenteils Angehörige der Brahmanen-Eliteklasse im Kastensystem, die gar nicht interessiert war, dem Volk die wahre Bedeutung der vedischen Schriften zu vermitteln.